Lisa Kirchner

Mit CONTAINER GO hat OTTO DÖRNER für die Digitalisierung und Vernetzung in der Recycling- und Entsorgungsbranche einen neuen Standard geschaffen. Ursprünglich nur für das eigene Unternehmen gedacht, hatten mehr und mehr Entsorger Interesse an dem B2B-Kundenportal, sodass daraus das Mittelstandsnetzwerk CONTAINER GO entstand. Auf dem Weg zur erfolgreichen Digitallösung haben das digitale Mind-Set, starke interne Beteiligung und externe Partnerschaften, ein empirischer Ansatz sowie die agile Software-Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt. Ein Erfahrungsbericht in fünf Thesen.

1. Digitalkultur muss Teil der Unternehmens-DNA werden

Ein Vorstellungsgespräch in einem mittelständischen Entsorgungsunternehmen Ende 2017: Vom Start-up über Mittelstand bis hin zum Konzern im In- und Ausland hatte ich schon einige Digitalprojekte gesehen, das erste Mal agil gearbeitet hatte ich in 2012. Nun, mitten im Industriegebiet im Westen Hamburgs, traf ich auf eine tiefgreifende Digital-Begeisterung, wie ich sie selten erlebt hatte.

Bereits 2015 gab es von OTTO DÖRNER Entsorgung das voll funktionsfähige B2B-Kundenportal DÖRNER GO, das mit dem ERP-System synchronisiert war. Aber mir wurde schnell vom Digital-Team klargemacht, dass sie höher hinaus wollen. Das Ziel: Die mittelständische und kommunale Entsorgungswirtschaft in Deutschland mithilfe des Kundenportals stärken und es als White-Label-Software zu vertreiben. Das war eine Ansage.

Dieser Drive für Innovation und die gelebte Dringlichkeit, sich nicht mit dem Status-Quo zufrieden zu geben, sondern jederzeit bereit zu sein, seine Unternehmensprozesse kritisch auf den Prüfstand zu stellen – heute bin ich davon überzeugt, dass genau dieses Mind-Set von der Geschäftsführung und dem gesamten Team die Basis für den Erfolg eines Digitalprojekts ist.

Digitalisierung und digitale Produkte werden im Mittelstand immer noch oft „nebenbei“ betrieben, was nicht ihrer Relevanz für zukünftige Wettbewerbsvorteile gerecht wird. Bei OTTO DÖRNER Entsorgung wurde sich früh für eine digitale Strategie entschieden und so gibt es bei uns heute die fünfköpfige Abteilung „Digitale Unternehmensentwicklung“. Trotzdem muss deutlich kommuniziert und Klarheit im Unternehmen geschaffen werden, dass das Kunden-Portal keinen Selbstzweck hat oder das „Baby“ der Digital-Abteilung ist: Es gibt das B2B-Kundenportal, da es das Unternehmen stärkt, einen Wettbewerbsvorteil schafft und vom Kunden gefordert ist; die Digital-Abteilung treibt das Portal für alle im Unternehmen voran.

Digitalisierung und digitale Produkte werden im Mittelstand immer noch oft „nebenbei“ betrieben, was nicht ihrer Relevanz für zukünftige Wettbewerbsvorteile gerecht wird.

Hinsichtlich des innovativen Mind-Sets gilt es dabei besonders für die Digital-Abteilung offen für Feedback zu bleiben, Konflikte auszuhalten und bereit zu sein, Veränderungen auszuprobieren. Zu einer guten Digitalkultur gehört für mich aber auch, Widerstände und Ängste von Kollegen ernst zu nehmen und offen besprechen zu können. Ein digitales Kundenportal kann nachvollziehbarerweise auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, Arbeitsplätze zu gefährden. Es benötigt an dieser Stelle Zeit und Geduld (mehrmals) zu erläutern, dass ein Kundenportal auch eine Chance für die Mitarbeiter ist. Nämlich eine Chance, mehr Zeit für genau die Fälle und Fragestellungen im Berufsalltag zu haben, wo wir als Menschen mit unseren komplexen Fähigkeiten gefordert sind.

2. Das interne Netzwerk nutzen: Digitalprojekte brauchen Beteiligung

Grundsätzlich besteht in Schnittstellenfunktionen wie einer Digital-Abteilung das Risiko, zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern zerrieben zu werden. In der Entsorgungswirtschaft kann man exemplarisch die teilweise konträren Interessen von Vertrieb, Kundenservice und der Disposition anführen, die sich u. a. in unterschiedlichen Vorlaufzeitwünschen bei den Bestellungen über das Portal widerspiegeln. Bei uns herrscht die Devise, dass mit klaren Vorgaben und transparenten Entscheidungen gearbeitet wird. So hat sich zum Beispiel die Geschäftsführung bereits zu Beginn entschieden, Bestellungen über das GO-Portal in der Auftragsplanung durch die Disposition priorisiert zu behandeln, um den Kunden einen Anreiz zu bieten, Dörner GO auszuprobieren.

Die Digital-Abteilung sollte es als ihre Aufgabe verstehen, das Feedback und die Wünsche jeder Abteilung gleichwertig aufzunehmen und mit einem ganzheitlichen Blick zu beurteilen. Das erfordert einen kontinuierlichen Diskurs und eine gute Moderation. Diese Zeit ist aber sehr gut investiert, um so viele Kollegen wie möglich motiviert „an Bord“ zu haben und jederzeit auf ihre proaktiven Verbesserungsideen vertrauen zu können.

Die Digitalisierung von Prozessen zeigt einem Unternehmen außerdem auf, wo ggf. Schwachstellen in den Abläufen bestehen oder es gelebte Sonderwege gibt. Insofern ist es entscheidend, als erstes zu hinterfragen, inwieweit ein Prozess intern standardisiert ist und ob er aktuell Mehrwerte für die Kunden schafft, bevor man den Prozess ungeprüft in die digitale Welt überträgt. Somit drängt die Digitalisierung uns ganz natürlich hin zu einer starken Kundenfokussierung und hat auch das Potential, bestehende Silos zwischen den Abteilungen aufzubrechen. Es muss nun ein Wissensaustausch zwischen den Abteilungen erfolgen, da an einem ganzheitlichen, kundenorientierten Prozessfluss gearbeitet werden muss.

Es ist entscheidend, als erstes zu hinterfragen, inwieweit ein Prozess intern standardisiert ist und ob er aktuell Mehrwerte für die Kunden schafft, bevor man den Prozess ungeprüft in die digitale Welt überträgt.

Um den internen Verbund zwischen den Abteilungen in Hinblick auf Digitalisierung zu stärken, haben wir die sog. Digital Scouts etabliert, die sich aus Kollegen aus dem ganzen Unternehmen zusammensetzen. Jeder Digital Scout gilt als digitaler Experte und Wissensvermittler für sein Team. Außerdem haben wir in 2019 eine interne Vortragsreihe gestartet, in der die Digital Scouts allen Kollegen monatlich neue digitale Inhalte nahebringen und diskutieren. Auch hier finde ich es wichtig, nicht top-down den Kollegen Themen und Verfahrensweisen anzuordnen, sondern sie zu empowern, ein für sie relevantes Thema in dem von ihnen gewünschten Format vorstellen zu können. So kamen Themen von der Entwicklung von Werbemaßnahmen, Informationen über digitale Wettbewerber oder auch sehr interaktive Themen wie „Digitalisierung – Was sagst DU dazu?“ zustande.

3. Ein starkes externes Netzwerk aufbauen, um gemeinsam voranzukommen

Innerhalb der letzten zwei Jahre wurde für CONTAINER GO eine weitreichende Vertriebs- und Informationsoffensive betrieben. Es wurden Gespräche mit über 230 Entsorgungsunternehmen aus dem ganzen Bundesgebiet sowie mehr als 15 ERP-Systembetreibern geführt.

Was also Ende 2017 damit begann, anderen Entsorgungsunternehmen den Aufbau eines eigenen individualisierten B2B-Portals mit ERP-Schnittstelle zu ermöglichen, ist heute ein Gemeinschaftsprojekt aus Entsorgern und ERP-Systembetreibern. Das Netzwerk steht dabei auf drei Säulen:

Gemeinsam entwickeln – eigene Ideen einbringen – individuell erkennbar bleiben

Jeder neue Partner, ob Entsorger oder ERP-Systembetreiber, kann seine Ideen und Anforderungen einbringen und somit aktiv an der Weiterentwicklung des Portals mitwirken. Die zukünftigen Entwicklungen werden allen CONTAINER GO Partnern zur Verfügung gestellt. Dies stellt sicher, dass das B2B-Kundenportal sich dynamisch und zielorientiert weiterentwickelt und den Entsorger-Kunden immer die beste Portallösung geboten wird.

Neben der gemeinsamen technischen Entwicklung setzen wir zusätzlich auf einen regelmäßigen Best Practice Austausch zwischen den Partnern, aber auch in der gesamten mittelständischen Entsorgungswirtschaft. Es kann sich lohnen, als „First Mover“ mit dem unternehmenseigenen Digital-Wissen voranzugehen, Initiative zu zeigen und dadurch die Digitalisierung einer gesamten Branche voranzutreiben. So hat OTTO DÖRNER im November 2019 für den gemeinsamen Wissensaustausch in der Entsorgungswirtschaft den „Netzwerktag“ ausgerichtet. Mehr als 100 interessierte Teilnehmer aus ganz Deutschland kamen nach Hamburg und nahmen an dem Tag mit Best Practice Vorträgen teil. Neben den fünf bis dahin bereits laufenden bzw. in der Entwicklung befindlichen Portalen erreichten uns danach Zusagen für weitere zehn Portale und vier weitere ERP-Systemschnittstellen.

Um diese technischen Herausforderungen stemmen zu können, braucht man einen starken Partner an seiner Seite. Da wir weiterhin ein Entsorgungsunternehmen und keine IT-Schmiede sind, arbeiten wir bei der Entwicklung der Portale mit dem externen Dienstleister marketoolz.com und deren Entwickler-Team aus Hamburg zusammen. marketoolz stand uns von Beginn der Entwicklung mit Rat und Tat zur Seite, sodass sie für uns als Digital-Abteilung aus unserem Team nicht mehr wegzudenken sind.

4. Regelmäßige Messungen & Auswertungen dienen der besseren Entscheidungsfindung

Diskussionen über den Sinn und die genaue Ausgestaltung neuer Funktionen können heiß hergehen. Da kann regelmäßig ein kühler Blick auf die Zahlen helfen und Konflikte können mit dem Versprechen entspannt werden, dass der Erfolg einer umstrittenen Funktion gemessen werden wird.

Heute machen wir zielgerichtete Auswertungen unterschiedlicher Komplexität. Aber bereits von Anfang an besaß das Dörner GO Portal eine einfache Nutzerstatistik. Diese zeigt auf Kunden-Ebene wie viele Aufträge in den letzten vier Wochen über das Portal oder auf anderen Wegen (vorwiegend telefonisch) von den Kunden beauftragt wurden. Die Auswertung ist möglich, da GO-Aufträge entsprechend im ERP-System markiert sind. Es handelt sich also technisch um eine einfache Auswertung, die aber schnelle Aussagen und Reaktionen seitens der Digital-Abteilung und des Vertriebs ermöglichte.

Im Sinne des modernen Arbeitens sollte besonders die Digital-Abteilung Transparenz vorleben. Bei uns informieren wir zum Beispiel monatlich darüber, wie groß die Online-Bestellquote je Niederlassung und in Summe ist. In 2019 wurden über ein Viertel aller Aufträge automatisiert über das GO-Portal abgewickelt.

Je mehr der Funktionsumfang eines Digitalprodukts wächst, umso wichtiger wird eine empirische Herangehensweise an die Software-Entwicklung. Wenn wir heute ein neues Feature definieren, denken wir dabei gleichzeitig an mögliche Trackingmaßnahmen, um z. B. herauszufinden, inwiefern eine neue, zusätzliche Suche für Dokumente tatsächlich verwendet wird. Für das Tracking nutzen wir vor allem Google Analytics, das von einem Kollegen im Team als Experte betreut wird, der uns dann auf Knopfdruck den Erfolg oder Misserfolg einer Funktion auswerten kann.

5. Die moderne Software-Entwicklung – nah am Kunden durch agiles Arbeiten

In 2018 haben wir begonnen, agile Arbeitsweisen in unserer Abteilung zu integrieren. Gestartet sind wir schrittweise und haben uns dabei auch immer wieder erinnert, dass alles ein Prozess ist. Meiner Meinung nach sind diese Geduld und Güte mit sich selbst als Team ein unterschätzter Faktor, wenn man sich verändern will und „agiler“ werden möchte. Veränderungen brauchen Zeit, es wird Konflikte und Fragen geben, auf die man (noch) keine Antworten hat. Hier zahlt es sich aus, Teilerfolge zu feiern, dranzubleiben, und die langfristige Zielerreichung im Blick zu behalten.

Bevor man mit der Software-Entwicklung nach Scrum startet, macht es Sinn, sich mit dem agilen Arbeiten im Allgemeinen zu befassen und auch andere agile Methoden auszuprobieren. Wir haben zum Beispiel zuerst mit Kanban Boards einzeln und im Team gearbeitet. Da Kanban relativ flexibel in unterschiedlichen Umgebungen und ohne feste Rollen einsetzbar ist, haben wir schnell Fortschritte erzielen können. Im Nachhinein betrachtet haben uns die ersten Schritte mit Kanban ermöglicht, ziemlich natürlich ohne Zwang die Werte von Scrum im Team zu stärken, bevor wir überhaupt mit Scrum begonnen haben (Scrum Werte: commitment, courage, focus, openness, respect). Besonders in den Bereichen openness und commitment waren wir damit schon stark aufgestellt, als wir das erste Mal einen Sprint geplant haben.

Heute sieht unser Scrum-Team wie folgt aus: Es gibt einen Product Owner für DÖRNER GO und für CONTAINER GO, sowie einen weiteren für den DÖRNER Shop und DER SACK; außerdem haben wir einen Head Product Owner etabliert, der die Gesamtstrategie der Abteilung/ Priorisierung vorgibt. Desweiteren hat das Scrum-Team einen Scrum Master.

Unser Entwickler-Team bei marketoolz.com sitzt am anderen Ende der Stadt, aber wir versuchen, den Kontakt durch regelmäßige Treffen eng zu halten. So verbringen wir alle jede Sprint Review, Retrospektive und jedes Sprint Planning (persönlich) miteinander. Die Product Owner führen mit dem Entwickler-Team zusätzlich regelmäßige Desk Checks und Refinements während der Sprints durch.

Für jedes unserer Produkte gibt es zwar übergeordnete Quartalsziele, jedoch wird über die exakten neuen Funktionen und ihre Ausprägung agil und flexibel im stetigen Austausch mit allen Stakeholdern entschieden. In 2-3 Wochen Sprints entwickeln wir schrittweise das B2B-Kundenportal weiter. Das Arbeiten nach Scrum ermöglicht uns damit, sehr schnell auf die Bedürfnisse der Kunden, Kollegen und CONTAINER GO Partner zu reagieren.

Über die Autorin

Lisa Kirchner war als Product Owner für das Kundenportal DÖRNER GO und seine Weiterentwicklung verantwortlich. Heute geht sie ihrer Leidenschaft für Digitalisierung & agiles Arbeiten nach, indem sie als Scrum Master das Scrum-Team begleitet und sich für die abteilungsübergreifende digitale Unternehmensentwicklung bei OTTO DÖRNER Entsorgung einsetzt.

Veröffentlichung am 26.05.2020 auf www.warenausgang.com

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